Psychisches Trauma (Psychotrauma) und seine Auswirkungen auf den Körper

Ein Fachartikel von Heilpraktiker, Osteopath und Patric Warten. Veröffentlicht in einer Fachzeitschrift im November 2018

 

Über die körperlichen Spätfolgen eines psychischen Traumas wird nur wenig in der Fachliteratur berichtet. Dieser Artikel soll einen Einblick darüber geben, welche körperlichen Spätauswirkungen Traumata zur Folge haben können und wie diese entstehen. Dabei wird auch auf psychogene Schmerzen und deren neurobiologischen Hintergründe und Zusammenhänge eingegangen.

Psychisches Trauma

Psychische Traumata oder Psychotraumata sind starke überwältigende Ereignisse, die die emotionale Bewältigung der Betroffenen völlig überfordern. Dabei handelt es sich meist um Situationen, bei denen es keinen Ausweg gibt. Die Betroffenen können sich in diesem Ereignis weder dagegen wehren, noch flüchten (no fight, no flight). Sie sind in einem völligen ausweglosen, hilflosen und ausgelieferten Zustand gefangen und erleben dabei Todesangst und starke seelische Schmerzen. Traumatisierende Ereignisse können Vergewaltigung, Überfälle, Misshandlungen, Folter, lebensbedrohliche Krankheiten und andere sein. Meistens finden Traumata schon im Kindesalter statt. Im Kindesalter zählen zu den Ursachen sexueller und emotionaler Missbrauch, häusliche Gewalt, Misshandlungen, Tod eines Elternteils, ständige Demütigungen, Vernachlässigung und weitere. Oft finden diese Ereignisse im Verborgenen statt.
Psychotraumata bewirken meist nachhaltige anhaltende seelische, soziale und körperliche Folgestörungen. Traumatisierungen im Kindesalter zählen zu den häufigsten Ursachen für spätere psychische Störungen. Dazu zählen die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS, ICD F43.1), die Borderline Persönlichkeitsstörung (ICD F60.31) und Dissoziative Störungen (ICD F44.8-). Aber auch Depressionen oder andere psychischen Erkrankungen können Folge einer Traumatisierung sein.

Das Traumagedächtnis

Im limbischen System, welches in der Übergangszone zwischen Neokortex und Hirnstamm liegt, werden Sinneseindrücke und Begebenheiten des Lebens emotional verarbeitet. Es hat eine sehr enge funktionelle Beziehung zu psychischen Vorgängen. Zum limbischen System zählen der Hippocampus, Gyrus cinguli, Gyrus parahippocampalis, Corpus amygdaloideum (Amygdala) und Corpus mamilare.
Bei einem einwirkenden traumatischen Ereignis ist das limbische System mit der Bewertung völlig überfordert. Die Amygdala kann die traumatisch einwirkenden Sinneseindrücke nicht verarbeiten. Sie verbleiben dort und werden dort als sogenanntes Traumagedächtnis gespeichert.
Das hat nachhaltige Auswirkungen. Das Trauma selbst macht nicht krank sondern der dadurch ausgelöste seelische und körperliche Stress. In der Amygdala und im gesamten limbischen System verbleibt Stress, der seelische und körperliche Folgen hat.

Körperliche Traumafolgestörungen

Der Hypothalamus, der das oberste Integrationsorgan vegetativer Funktionen (vegetatives Nervensystem und endokrine Organe) ist, steht unter starkem Einfluss des limbischen Systems, was die Beeinflussung vegetativer Parameter bei psychischen Vorgängen verständlich macht. Jeder hat schon erlebt, dass zum Beispiel in einer Prüfungssituation Puls und Blutdruck ansteigen und ein erhöhter Harndrang besteht. Der Hypothalamus steuert das vegetative Nervensystem (Sympathikus und Parasympathikus), die Hypophyse (endokrines System) und beeinflusst das Immunsystem. Der Hypothalamus ist also eine neurologische Struktur, durch die auch psychische Vorgänge in körperliche Reaktionen umgesetzt werden.

Traumatisierte, also seelisch verletzte Menschen, haben einen hohen Grundstress, der als solcher oft nicht gespürt oder wahrgenommen wird. Der Hypothalamus erhält stressbedingt dauerhaft vermehrte Stressinformationen vom limbischen System, was zu einer Beeinflussung von vegetativen Funktionen führt. Der Sympathikus wird dadurch in seiner Funktion verstärkt aktiviert. Er ist es, der unter Stress Puls und Blutdruck erhöht, die Magen- Darmperistaltik vermindert, die Sekretion von Schweiß steigert, die Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin aus dem Nebennierenmark bewirkt und zu Muskelverspannungen führt. Er wird unter Stress immer als Ganzes innerviert. Der Parasympathikus wird unter Stress nur selektiv innerviert und kann in Stresssituationen zu einem erhöhten Harndrang, Magengeschwür und zu Durchfall führen. Vereinfacht ausgedrückt kann man sagen, dass der Sympathikus der Aktivität und der Parasympathikus der Erholung dient. Der Parasympathikus senkt Puls und Blutdruck und fördert die Magen- Darmtätigkeit.
So ist es nicht verwunderlich, dass traumatisierte Menschen Probleme mit einem erhöhten Ruhepuls, mit Bluthochdruck, mit funktionellen Magen- Darmbeschwerden, die unter der Diagnose Reizdarmsyndrom zusammengefasst werden, mit Muskelverspannungen und daraus resultierenden Spannungskopfschmerzen, mit Magenschleimhautentzündungen und Magengeschwüren haben können.
Nicht nur traumatisierte Menschen, sondern auch Menschen, die unter zu viel äußerem Stress leiden, weisen solche psychosomatischen Beschwerden auf. Dabei sind die ablaufenden neurophysiologischen Prozesse und die beteiligen Hirnstrukturen die gleichen.
Traumatisierte leiden auch oft unter Müdigkeit und Erschöpfung bis hin zum chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS). Bedingt durch den Dauerstress im limbischen System und der daraus bedingten übersteigerten Aktivität des Sympathikus findet kaum noch eine Erholung statt. Die körperlichen und auch seelischen Ressourcen werden unter solch einem Zustand zunehmend aufgebraucht, was dann in der Erschöpfung endet. Verstärkt wird das Erschöpfungssyndrom durch Schlafstörungen, unter denen etliche Traumatisierte leiden. Schlafstörungen sind ebenfalls Ausdruck eines erhöhten Grundstress, bei dem die Betroffenen nicht richtig zur Ruhe kommen können.

Die Hypophyse, die das hormonelle „Ausführungsorgan“ des Hypothalamus ist, wird direkt vom Hypothalamus gesteuert, der wiederum, wie schon erwähnt, unter starkem Einfluss des limbischen Systems steht. Die Hypophyse steuert über Hormonausschüttung die endokrinen Drüsen (z.B. Schilddrüse, Nebennierenrinde). Stressbedingt kann es zu einer vermehrten Ausschüttung des Hormons Cortisol aus der Nebennierenrinde kommen, was zu einem erhöhten Blutdruck, zu Störungen des Glucosestoffwechsels und zu einer Immunsuppression führen kann. Über die Amygdala-Hypothalamus-Hypophysen-Achse kann psychischer Stress zu Störungen der Hormonregulation führen, was dann z.B. zu Störungen des weiblichen Zyklus führen kann.

Psychogene Schmerzen

Anhand der oben angeführten Erklärungen konnte gezeigt werden, wie unbewältigte psychische Vorgänge zu körperlichen Beschwerden und Erkrankungen führen können. Dabei wurden zwei sogenannte „Stressachsen“ vorgestellt. Die erste Stressachse ist die Limbische-Hypothalamus-Sympathikus-Achse (neuronal), die zweite ist die Limbische-Hypothalamus-Hypophysen-Achse (endokrin).

Viele traumatisierte Menschen leiden auch unter chronischen Schmerzen, bei denen, trotz aufwendiger Diagnostik, keine hinreichenden auslösenden körperlichen Ursachen gefunden werden konnten. Man tut sich schwer chronische Schmerzen als psychogene Schmerzen zu klassifizieren. Oft vergehen für den Patienten viele Jahre mit dem häufigen Aufsuchen von Fachärzten, mit Krankschreibungen und jahrelanger medikamentöser Schmerztherapie, bis eine psychosomatische Abklärung stattfindet.

Psychogener Schmerz ist Ausdruck einer Stressverarbeitungsstörung im limbischen System.
Schmerzreize werden nach der Umschaltung vom ersten auf das zweite Neuron im Hinterhorn des Rückenmarks zum Thalamus weitergeleitet. Von dort werden die peripheren Schmerzreize zum somatosensorischen Kortex im vorderen Parietallappen geleitet, wo eine topographische Verortung stattfindet („Homunculus“). Dort wird die Reizstärke festgestellt und der Schmerz als solcher wahrgenommen. Gleichzeitig werden die Schmerzreize vom Thalamus aus auch an das limbische System und den Präfrontalkortex geleitet, wo eine emotionale Bewertung des Schmerzes stattfindet. Früher dachte man, das die Reizstärke auch der Schmerzstärke entspricht, d.h. je stärker die Reizstärke, desto stärker die Schmerzen. Zur Wahrnehmung der Schmerzstärke werden aber vielmehr andere Hirnareale als der somatosensorischen Kortex herangezogen. Diese sind Areale im limbischen System wie die Amygdala, der Hippocampus und der Gyrus cinguli. Auch der Präfrontalkortex, der regulierend auf das limbische System einwirkt, wird zur Schmerzinterpretation herangezogen. All die genannten Strukturen zählen zu dem Stressverarbeitungssystems des Gehirns.

Sind im limbischen System noch alte verletzende Ereignisse gespeichert (Traumagedächtnis), dann bewirkt dies, wie bereits schon erwähnt, Stress. Entscheidend für die Schmerzinterpretation ist das Interagieren der aufgezählten Hirnareale. Es spielen auch der Umgang mit vorausgegangenen Schmerzerfahrungen und der Umgang mit Disstress eine Rolle.
Schmerzen stellen eine besondere Variante von Stress für das Stressverarbeitungssystem des Gehirns dar, sie haben eine weitreichende Überlappung mit diesem. Durch die dysfunktionale Verarbeitung von Stress wird im Hypothalamus das Stresshormon Corticotropin-Releasing Hormon (CRH) ausgeschüttet, welches auf absteigend hemmende Schmerzbahnen einwirkt und dazu führt, dass Schmerzreize bei der Umschaltung vom ersten auf das zweite Neuron auf Rückenmarksebene moduliert werden und zu einer Schmerzverstärkung führen.
Es gibt Studien (Fitzgerald, 2005; Lidow, 2002; Hermann et al., 2006; Taddio et al.; 1997, 2002), die einen Zusammenhang zwischen früher erlebten Schmerzen und einer späteren erhöhten Schmerzempfindlichkeit belegen. Das Traumagedächtnis speichert frühere Schmerz- und Stresserfahrungen und wie darauf reagiert wurde. Früher erlebter Schmerz ist im Traumagedächtnis als Schmerzgedächtnis noch präsent.
Eine tierexperimentelle Studie (Alvarez et al. 2013) zeigt, dass postnataler Disstress durch eine längere Trennung vom Muttertier später im Erwachsenenalter durch anhaltende Belastungssituationen zu Muskelschmerzen führt.
Menschen, die in ihrer Kindheit Stress z.B. aufgrund von dysfunktionalen Familienverhältnissen, häuslicher Gewalt, längere Trennung von den Eltern und somit wenig Bindung und liebevolle Beziehung erlebt haben, sind im Erwachsenenalter stress- und schmerzanfälliger. Das Neuropeptid Oxytocin, das auch als „Kuschelhormon“ bezeichnet wird, wird durch das Erleben von Bindung, Beziehung und sozialer Unterstützung im Hypothalamus aktiviert. Es reduziert Stress und Angst und wirkt hemmend auf die Stresshormone Cortisol und das schmerzsteigernde CRH. Auch wird durch Oxytocin eine Angst induzierte Amygdala-Aktivierung abgebaut (Rash et al., 2014). Zahlreiche Studien belegen auch, dass soziale Unterstützung zu einer Schmerzreduktion führt.
Mangelnde Bindungserfahrung führt auch zu einer Verminderung der Ausreifung des endogenen Opiat-Systems und deren Rezeptoren. Je mehr Opiatrezeptoren vorhanden sind und je mehr Opiate ausgeschüttet werden, desto höher ist die Schmerzschwelle (D´Amato und Pavone, 2012). Mangelnde Bindung führt zu einer Reduzierung von Opiatrezeptoren im Thalamus, der Amygdala und dem präfrontalem Kortex und somit zu einer gesteigerten Schmerzsensibilität (Kiosterakis et al., 2009; Zubieta et al., 2001; Nummenmaa et al., 2015). Unsicheres Bindungsverhalten hat bei chronischen Schmerzpatienten erhebliche Auswirkungen. So wird Schmerz bedrohlicher erlebt, die Schmerzintensität und die daraus resultierenden Beeinträchtigungen werden deutlich stärker wahrgenommen und schmerzbezogene Ängste sind erheblich ausgeprägter (Meredith et al., 2008).

In der frühen Kindheit einwirkende ungünstige Umweltfaktoren wirken sich später in einer erhöhten Stressanfälligkeit, mit einhergehender verminderter Stress- und Konfliktbewältigung aus. Dysfunktionale Stressverarbeitung führt über die beschriebenen Zusammenhänge zu einer vermehrten Schmerzwahrnehmung mit gesteigertem Schmerzerleben. Ungünstige, in der Kindheit einwirkende Faktoren, können nach Egle (Egle et al., 1997, 2015) z.B. Arbeitslosigkeit der Eltern, alleinerziehende Mutter, frühes Ausgrenzungserleben, autoritäres väterliches Verhalten, psychische Störungen von Mutter und/oder Vater, chronische Disharmonie in der Herkunftsfamilie und andere sein.

Schlussbemerkungen

Immer noch tun sich Ärzte aber auch Alternativtherapeuten schwer, Schmerzen, für die keine hinreichenden körperlichen Ursachen gefunden werden, als psychisch induziert zu bewerten und damit die entsprechenden Diagnosen wie z.B. Somatisierungsstörung (ICD F45.0) oder anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD F45.40) zu stellen. Somit kann auch keine adäquate Therapie erfolgen. Chronifizierung von Schmerzen, mit langem Leidensweg für die Betroffenen und hohen Kosten für die Krankenkassen sind die Folge.
Im alternativtherapeutischen Bereich sieht es nicht besser aus. Oft werden bei Menschen mit psychisch induzierten Schmerzen Diagnosen wie Schwermetallbelastung, Darmpilze, Übersäuerung, Beckenschiefstand, Wirbelblockade, craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) oder andere gestellt. Ein Umdenken findet hier nur langsam statt.

 

Falls Sie an den Folgen eines Psychotraumas, sowohl seelisch als auch körperlich, leiden, dürfen Sie sich gerne mit mir in Verbindung setzen. Als ausgebildeter Traumaberater verfüge ich über die notwendigen Fachkenntnisse und habe eine entsprechende jahrelange Erfahrung in der Therapie von Traumafolgestörungen.

Weitere Informationen unter "Traumazentrierte Fachberatung"