Atembefund und Atemtherapie bei Lungen- und Atemwegserkrankungen

Ein Fachartikel von Heilpraktiker, Physiotherapeut und Osteopath Patric Warten, der in der Zeitschrift „Reflexe“, des Verbandes der Masseure der Schweiz, im September 2016 veröffentlicht wurde

Die Atemtherapie findet in vielen Massage- und Physiopraxen nur selten Anwendung. Kommt jedoch ein Patient mit einer ärztlichen Verordnung über Atemtherapie in die Praxis, dann sind die meisten Therapeuten im ersten Moment überfordert. Viele Therapeuten wissen nicht genau, was sie mit dem Patienten anfangen sollen.
Dieser Artikel soll Therapeuten (Physiotherapeuten, Masseure und andere) helfen, vor Beginn der Atemtherapie einen ausführlichen Atembefund zu erstellen, um dann eine gezielte und den Beschwerden des Patienten angepasste Atemtherapie durchzuführen.


Die Grundlage einer Atemtherapie ist der Atembefund. Aus dem Atembefund gehen die aktuellen atemspezifischen Beschwerden, Symptome und Einschränkungen, die der Patient hat, hervor. Anhand des Atembefundes werden die Behandlungsziele für die Atemtherapie festgelegt, um daraus die atemtherapeutischen Maßnahmen abzuleiten.

Atembefund

Am Anfang des Atembefundes steht immer die Anamnese, bei der zuerst grundsätzliche Daten wie Name, Alter, Diagnose und Beruf erfasst werden. Der Beruf des Patienten kann eventuell schon auf arbeitsbedingte Schädigungen der Lunge hinweisen. So kann es bei Menschen, die im Bergbau arbeiten, zur Silikose (Quarzstaublunge) kommen. Bäcker können am sogenannten Bäckerasthma erkranken.
Zur Anamnese gehören auch Fragen nach den momentanen Beschwerden, der Krankheits(vor)geschichte, dem Allgemeinbefinden und ob der Patient atemabhängige Schmerzen hat. Ist der Patient Raucher? Wenn Ja, wieviel Zigaretten am Tag? Leidet der Patient unter Atemnot (Dyspnoe) in Ruhe oder unter körperlicher Belastung? Leidet der Patient unter Husten mit oder ohne Auswurf? Falls es zu Auswurf kommt, wie ist die Beschaffenheit des Auswurfs? Ist die Sekretbeschaffenheit zäh oder dünnflüssig, klar oder gelblich? Gelblicher Auswurf deutet auf eine bakterielle Infektion der Atemwege hin, wie es bei einer chronischen Bronchitis der Fall sein kann. Zäher Auswurf kommt meist bei einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) vor. Zumeist ist auch chronischer Husten das Symptom einer chronischen Bronchitis oder des COPD.
Abschließend sollte noch gefragt werden, was bisher atemtherapeutisch durchgeführt wurde.

Zum weiteren Befund kann der Behandler die Lippen und Fingerkuppen des Patienten auf eine eventuelle Blauverfärbung (Cyanose) hin überprüfen. Eine Cyanose weist auf eine Minderversorgung des Blutes mit Sauerstoff hin. Danach kann der Puls an der Radialseite des Unterarmes gemessen werden. Eine Erhöhung des Pulses kann Hinweis auf das sogenannte Cor pulmonale, einer Erkrankung des rechten Herzens, sein. Das Cor pulmonale entsteht aufgrund eines Durchströmungswiderstandes des Blutes durch die Lunge, zum Beispiel bedingt durch ein Lungenemphysem.
Wichtig ist auch, ob der Patient durch die Nase oder durch den Mund atmet und ob bei der Atmung Atemgeräusche, wie Brodeln oder Rasseln hörbar sind.
Zur weiteren Befundung sollte der Patient den Oberkörper frei machen (Frauen können den BH anlassen) und sich in Rückenlage auf die Behandlungsliege legen. Zur Ermittlung der Atemfrequenz stellt sich der Behandler neben den Patienten auf Brusthöhe und legt seine Hände seitlich links und rechts an den Brustkorb (Bild 1). Jetzt zählt er wie oft der Patient in einer Minute ein- oder ausatmet. So kann auch der Atemrhythmus ermittelt werden. Der Therapeut belässt seine Hände an beiden Seiten des Brustkorbs und überprüft nun, ob sich bei der Ein- und Ausatmung beide Brustkorbseiten gleichmäßig nach außen weiten, heben und senken. Danach legt er eine Hand auf das Brustbein des Patienten und überprüft, ob sich bei der Ein- und Ausatmung das Brustbein hebt und senkt.
Nach dieser Überprüfung darf der Patient aufstehen. Der Therapeut kann nun mit einem Maßband den Thoraxumfang bei Atemruhelage und bei maximaler Ein- und Ausatmung messen. Dabei legt er das Maßband um den unteren Thoraxrand des Patienten, etwa in Höhe der zwölften Rippe. Zuerst misst er den Thoraxumfang in Atemruhelage, danach soll der Patient maximal ein- und ausatmen. Alle drei Messwerte werden notiert. Das Gleiche erfolgt mit um den Thorax gelegtem Maßband unterhalb der Brustbeinspitze (Bild 2, 3 und 4) und danach auf Höhe der Achseln. Bei Patienten mit einer Obstruktion kann die Differenz der Umfangwerte zwischen Atemruhelage und maximaler Ausatmung sehr gering sein. Das heißt, dass bei der Ausatmung nicht viel Luft raus geht und die Lunge überbläht ist. Bei Patienten mit einer Restriktion kann die Differenz der Umfangwerte zwischen Atemruhelage und maximaler Einatmung sehr gering sein. Das heißt, dass bei der Einatmung nicht viel Luft rein geht.
Im Anschluss erfolgt im Stehen die Inspektion der Thorax- und Wirbelsäulenstatik aus der frontalen, sagittalen und transversalen Ebene. Bei dieser Inspektion kann zum Beispiel der sogenannte Fassthorax auffallen, der bei Menschen mit einem Lungenemphysem vorkommt.

 

Atemtherapie

Ist der Atembefund abgeschlossen erfolgt die Auswertung mit Festlegung der Behandlungsziele und der atemtherapeutischen Maßnahmen. Am Ende einer atemtherapeutischen Serie kann auch mit einem erneuten Atembefund festgestellt werden, inwieweit sich die pathologischen Befunde des ersten Atembefundes verbessert haben.
Zur Festlegung der atemtherapeutischen Maßnahmen ist mir wichtig, die Lungen- oder Atemwegserkrankungen in „obstruktiv“ oder „restriktiv“ zu unterscheiden. Bei restriktiven Lungen- oder Atemwegserkrankungen sind die Totalkapazität, die Vitalkapazität, das Lungenvolumen und die Dehnbarkeit der Lunge eingeschränkt. Das intrathorakale Gasvolumen ist reduziert. Ersichtlich wird das durch den Lungenfunktionstest, der in pneumologischen Fachkliniken durchgeführt wird.
Bei obstruktiven Erkrankungen sind das intrathorakale Gasvolumen und das Residualvolumen erhöht, die forcierte Ausatmung erniedrigt. Die Lunge ist überbläht. Vereinfacht ausgedrückt heißt das, dass bei der Restriktion zu wenig Luft in die Lunge reingeht, bei der Obstruktion kommt zu wenig raus.
Beispiele für Erkrankungen der Restriktion sind die Lungenfibrose, die Sarkoidose und die Asbestose. Beispiele für Erkrankungen der Obstruktion sind das Asthma bronchiale, die chronisch obstruktive Lungenerkrankung, das Lungenemphysem und die chronische Bronchitis.
Die atemtherapeutischen Maßnahmen unterscheiden sich demnach auch in Maßnahmen, die vermehrt Luft in die Lunge bringen und damit das intrathorakale Gasvolumen, die Total- und Vitalkapazität und die Dehnbarkeit der Lunge erhöhen. Diese Maßnahmen werden bei der Restriktion angewandt. Zum Anderen sind es Maßnahmen, die die überblähte Lunge entbläht und damit das erhöhte Residualvolumen erniedrigt. Dies ist bei der Obstruktion der Fall.  Bei der Obstruktion kommen auch Maßnahmen zum Einsatz, die den vermehrt anfallenden Schleim lösen und herausbefördern sollen.

Atemtherapeutische Maßnahmen bei der Obstruktion

Wichtig bei obstruktiven Ventilationsstörungen ist das Lösen von Schleim, welcher mitverantwortlich für die Obstruktion (Verschluss) der Atemwege ist. Schleim ist auch ein guter Nährboden für eindringende Keime in die Lunge, die dann zur Entzündung der Bronchien führen können. Chronische Entzündungen der Bronchien führen auch, durch Gewebeveränderungen, zur Obstruktion. Chronische Bronchitiden führen wiederum zur vermehrten Schleimbildung, mit der erneuten Gefahr der Festsetzung und Vermehrung von eindringenden Keimen, die zu einer erneuten Entzündung führen. Ein Teufelskreis entsteht, der durch die Atemtherapie unterbrochen werden soll.
Aufgrund der Obstruktion kommt es zu einer Überblähung der Lunge, da die Atemluft zwar gut eingeatmet aber schlecht ausgeatmet werden kann. Die Atemwege kollabieren aufgrund des zu hohen Drucks in der Lunge bei der Ausatmung.
Neben dem Lösen von Schleim aus den Bronchien ist das Entblähen der Lunge ein weiteres wichtiges Ziel der Atemtherapie bei der Obstruktion.

Atemtherapeutische Maßnahmen hierzu sind:

  1. 1. Ausatmen gegen die „Lippenbremse“
    Das Ausatmen gegen die Lippenbremse sollte bei Patienten mit COPD oder einem Lungenemphysem dauernd durchgeführt werden. Dabei atmet der Patient durch die Nase ein und durch den Mund, gegen die Anfangs leicht geschlossenen Lippen, aus. Die Ausatmung geschieht in zwei Phasen. In der ersten Phase sind die Lippen noch mit wenig Druck geschlossen. Dadurch entsteht ein Gegendruck zum überblähten Druck in der Lunge. Die Atemwege kollabieren aufgrund des überhöhten Lungeninnendrucks weniger und bleiben durch den Gegendruck frei. In der zweiten Phase öffnen sich die Lippen etwas und die Ausatemluft kann nun ungehindert ausströmen.

  2. 2. Kompression des Thorax in der Ausatemphase
    Der Patient liegt in Rückenlage. Der Therapeut steht seitlich am Patienten und hat jeweils eine Hand am rechten und am linken Thoraxrand (wie beim Überprüfen der Atemfrequenz, Bild 1). Der Patient soll auf die Lippenbremse ausatmen, dabei drückt der Therapeut den Thorax des Patienten zusammen. Dadurch kann mehr Luft die Lunge verlassen.

  3. 3. Abklopfen des Thorax
    Aus Seit-, Rücken- und Bauchlage den ganzen Thorax des Patienten abklopfen (Klopfmassage). Das wirkt schleimlösend. Der Patient kann dabei auf „oohhh“ tönen. Dadurch wird der schleimlösende Effekt noch verstärkt.

  4. 4. Apparative Vibrationen (Vibrax-Gerät) aus Seit-, Rücken- und Bauchlage auf dem Thorax ausgeführt wirken schleimlösend. Auch dabei kann der Patient tönen.

  5. 5. Hustentechnik mit Lippenbremse
    Der Patient atmet zuerst einen Teil seiner Ausatemluft über die Lippenbremse aus, um danach mit dem Rest der Ausatemluft einen Hustenstoß abzugeben. Das Ziel dieser Übung ist die Schleimlösung.

  6. 6. Dampfinhalationen mit ätherischen Ölen.
    Ätherische Öle wirken durchblutungsfördernd auf die Schleimhäute und hemmen die Vermehrung von Bakterien. Der Abtransport von Schleim wird gefördert. Eventuell kann auch mit Kochsalzlösung oder Kamille inhaliert werden.

Atemtherapeutische Maßnahmen bei der Restriktion

Wichtig bei restriktiven Ventilationsstörungen ist, dass die Ventilations-, Perfusions- und Diffusionsverhältnisse verbessert, sowie Lungenvolumina und Thoraxbeweglichkeit vergrößert werden. Eventuelle Pleuraverklebungen sollten gelöst werden.

Atemtherapeutische Maßnahmen hierzu sind:

  1. 1. Tiefe Atemzüge
    1.1 Tiefe Atemzüge durch wiederholtes tiefes Einatmen
    1.2 Tiefes Einatmen durch eine gesetzte Nasenstenose.
    Dabei hält der Patient die Nase mit Daumen und Zeigefinger etwas zu und atmet dann gegen diesen Widerstand tief ein und aus.
    1.3 Tiefes Einatmen mithilfe von einfachen spirometrischen Atemtrainingsgeräten
    1.4. Tiefe Atembewegungen durch körperliche Ausdauerbelastungen. Den körperlichen Umständen des Patienten angepasste regelmäßige Ausdauerbelastungen führen in erheblichem Maße zur Verbesserung der Ventilations-, Perfusions- und Diffusionsverhältnisse der Lunge. Lungenvolumina und Thoraxbeweglichkeit werden vergrößert, eventuelle Pleuraverklebungen gelöst.

  2. 2. Packegriffe
    Zur Ausführung der Packegriffe liegt der Patient mit freiem Oberkörper in Seit-, Rücken- oder Bauchlage auf der Behandlungsliege. Der Therapeut fasst mit beiden Händen eine Hautfalte im Bereich des Thorax und hebt diese mit der Einatmung des Patienten ab (Bild 5). Der Patient soll zu der Stelle hin einatmen, an der die Haut abgehoben wird. Mit der Ausatmung des Patienten lässt der Therapeut das Anheben der Hautfalte nach, behält aber die Hautfalte in den Händen, damit er bei erneuter Einatmung die Hautfalte wieder anheben kann.
    Die Packegriffe können sowohl am hinteren Thorax (Bauchlage des Patienten), vorderen Thorax (Rückenlage des Patienten) oder seitlichen Thorax (Seitlage, zu behandelnde Seite ist oben) angewandt werden.
    Sie bewirken tiefere Atemzüge und eine vergrößerte Atembewegung. Falls einseitige Einschränkungen der Atembewegungen vorliegen, können die Packegriffe auch nur an der betroffenen Seite angewandt werden.

  3. 3. Dehnlagen
    Dehnlagen wirken steigernd auf die Beweglichkeit von Thorax, Rumpf und das Lungen- und Rippenfell. Die Vitalkapazität der Lunge wird dadurch erhöht.
    3.1 Sicheldehnlage (Bild 6)
    3.2 Drehdehnlage (Bild 7)

 

 

Zusammenfassung
Zusammenfassend sei erwähnt, dass eine konsequent ausgeführte Atemtherapie bei guter Compliance des Patienten gute Behandlungsergebnisse erzielt. Wichtig dabei ist auch, dass der Patient ein Heimprogramm erhält, das er regelmäßig selbstständig durchführt. Eine gesunde Lebensführung mit regelmäßiger körperlicher Bewegung und einer gesunden frischkostreichen Ernährung unterstützt die Therapie.