Vegetative Dystonie, Sympathikotonie, Vagotonie - Auswirkungen und alternative Therapie, alternative Heilverfahren - Alternativmedizin

Ein Fachartikel von Heilpraktiker Patric Warten, der in der Zeitschrift „Reflexe“, des Verbandes der Masseure der Schweiz, im Dezember 2014 veröffentlicht wurde

Einleitung

Sympathikotonie und Vagotonie sind Begriffe, die im therapeutischen Sprachgebrauch selten vorkommen. Unter Sympathikotonie versteht man einen erhöhten Tonus des Sympathikus. Das Gleichgewicht gegenüber dem Parasympathikus ist zugunsten des Sympathikus erhöht. Sind die Verhältnisse umgekehrt, spricht man von einer Vagotonie.

Sympathikotonie und Vagotonie sind nicht als Erkrankungen anzusehen, sondern sind eher als gegensätzliche Endpunkte des Regelkreises, des Vegetativen Nervensystems zu verstehen. Man könnte dies auch als Vegetative Dystonie bezeichnen. Symptome oder Erkrankungen wie Schlaflosigkeit, Bluthochdruck, Herzrasen, Schwindel, Nackenverspannungen, klimakterische Beschwerden, Verdauungsbeschwerden, Spannungskopfschmerzen, Migräne, Reizbarkeit, Chronisches Erschöpfungssyndrom, Herzrhythmusstörungen und andere können der Vegetativen Dystonie zugeordnet werden.

Die Vegetative Dystonie spricht gut auf alternative Heilverfahren an, gerade auch auf die Bindegewebsmassage (BGM), die leider etwas aus der Mode gekommen ist. In diesem Artikel wird unter anderem darüber berichtet, wie die BGM und andere alternative Heilverfahren bei der Vegetativen Dystonie erfolgreich eingesetzt werden können.

Vegetatives Nervensystem

Das Vegetative Nervensystem wird auch als Autonomes Nervensystem oder Vegetativum bezeichnet. Es steuert und regelt die Funktion der inneren Organe, des Blutgefäßsystems und der Pupillenreaktion. Auch der Tonus der Skelettmuskeln wird durch das Vegetativum geregelt. Man untergliedert es in ein Sympathisches und ein Parasympathisches Nervensystem, die antagonistisch wirken.

Der Sympathikus hat eine ergotrope Wirkung, das heißt, dass er den Körper in eine erhöhte Leistungsbereitschaft versetzt. Er steigert unter anderem den Puls, den Blutdruck, den Tonus der Skelettmuskulatur, die Durchblutung der Skelettmuskeln und des Herzens und mobilisiert Energie für die Muskelaktivität.

Der Parasympathikus hat eine trophotrope Wirkung, das heißt, dass er den Körper in einen Ruhezustand versetzt und der Regeneration und dem Aufbau von Körperreserven dient. Er bewirkt das Gegenteil des Sympathikus und ist sein Gegenspieler.

Sympathikotonie und Vagotonie

Die Sympathikusaktivität wird gerade auch aufgrund von Stressreaktionen erhöht. Unter einer Stressreaktion versteht man eine schnelle Anpassungsmöglichkeit des Körpers auf eine auftretende Gefahren- oder Stresssituation. Unter Einwirkung des Sympathikus bereitet sich der Körper auf eine schnelle Reaktion (Flucht oder Angriff) vor. Puls und Blutdruck steigen, die Atemfrequenz steigt, die Bronchien erweitern sich, die Muskeln werden besser durchblutet, der Tonus der Skelettmuskeln steigt, Energie (ATP) für die Muskelaktivität wird bereitgestellt, die Pupillen erweitern sich und anderes mehr.

Was unseren Vorfahren bei einwirkenden Stress- oder Gefahrensituationen und der damit verbunden Stressreaktion das Überleben sicherte, wird dem modernen Menschen zum Verhängnis. In unserer immer hektischer und lauter werdenden Gesellschaft, die zunehmend leistungsorientiert ist, die sich immer mehr den Anforderungen von Wirtschaft oder Arbeitgebern anpassen muss, steigt der Stress. Die damit verbundene sympathikusbedingte Stressreaktion kann jedoch bei den meisten Menschen nicht mehr genügend abgebaut werden. Eine körperliche Reaktion (Flucht oder Angriff) bleibt aus. Wir bleiben gestresst am Arbeitsplatz sitzen. Eine Sympathikotonie mit Symptomen oder Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzrasen, Nackenverspannungen, Verdauungsbeschwerden (z. B. Verstopfung), Reizdarmsyndrom, Spannungskopfschmerzen, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Herzrhythmusstörungen und andere mehr können die Folge sein. Als Spätfolge einer lang andauernden Sympathikotonie kann auch das Chronische Erschöpfungssyndrom angesehen werden, bei dem es aufgrund lang anhaltender Stressreaktionen zu einer Erschöpfung der Leistungsreserven kommt.

Eine Sympathikotonie kommt erheblich häufiger vor als eine Vagotonie. Der Hypothalamus und das limbische System des Gehirns spielen bei der Aktivierung des Sympathikus eine wichtige Rolle.

Eine Vagotonie kann zu Antriebslosigkeit, einem niedrigen Blutdruck oder zu kalten Händen und Füßen führen.

Vegetative Dystonie

Die Diagnose „Vegetative Dystonie“ gilt als „Verlegenheitsdiagnose“ von Ärzten, die mit ihren Patienten nicht mehr weiter wissen. Dahinter verbergen sich meistens Beschwerden, für die keine körperlichen Ursachen gefunden werden. Oft sind es mehrere Ursachen, die zu dem Symptomenbild der Vegetativen Dystonie geführt haben. Meistens sind es seelische und soziale Konflikte, die sich körperlich auswirken können. Öfters spielen auch Überforderung und Leistungsdruck am Arbeitsplatz eine Rolle. Die Bezeichnung „Vegetative Dystonie“ wird immer zunehmender durch den Begriff der „Psychovegetativen Störung“ ersetzt. In unserer Leistungs- und Informationsgesellschaft strömt zu viel auf uns ein. Wir leiden in irgendeiner Form unter Stress, teils seelisch bedingt, durch soziale Konflikte oder zu viel Arbeit.

Stress führt, wie oben schon beschrieben, zur Stressreaktion und dies führt wiederum zur Vegetativen Dystonie und den dadurch bedingten Symptomen und Erkrankungen.

Therapie

Vor jeder guten Therapie steht immer eine Anamnese und eine Befunderhebung.

Neben der allgemeinen Anamnese, bei der die allgemeinen Patientendaten erfasst werden, sollte bei Patienten mit Symptomen der Vegetativen Dystonie auch eine spezielle Anamnese erfolgen. Fragen, die auf die berufliche Situation (Tätigkeiten am Arbeitsplatz, Lärm, Zufriedenheit mit Arbeit, Leistungsdruck) eingehen, sollten nicht fehlen.

Auch sollten Fragen zum psychischen Befinden (Stresssituation im Privaten, allgemeines Wohlbefinden, Ein- oder Durchschlafstörungen, innere Unruhe, depressive Verstimmungen, Überforderungen usw.) gestellt werden. Weitere Fragen beziehen sich auf die Lebensführung (Alkohol, Genussmittel, Erholung, Sport usw.).

Eine weitere Befunderhebung und gegebenenfalls körperliche Untersuchung hängt vom Symptomenbild der Vegetativen Dystonie ab und kann hier nicht weiter ausgeführt werden.

 

Als eine gute Maßnahme, in Kombination mit anderen alternativen Heilverfahren, die Vegetative Dystonie zu behandeln, sehe ich die Bindegewebsmassage (BGM) an.

Sie hat, nach meiner Erfahrung, gute Behandlungsergebnisse bei den Beschwerden und Symptomen der Vegetativen Dystonie. Mittels der BGM kann direkt auf das Vegetative Nervensystem eingewirkt werden. Der kutiviszerale Reflex, der dabei ausgelöst wird, wirkt direkt auf vegetative Regulationsmechanismen.

Die Bindegewebsmassage hat eine segmentgebundene und eine allgemeine Wirkung.

Über die segmentgebundene Wirkung können einzelne Organe über den segmentalen Reflexbogen therapeutisch erreicht werden. Jedem Segment kann ein Hautabschnitt (Dermatom), ein Muskel (Myotom) und ein Organ (Viszerotom) zugeordnet werden. Zum Beispiel wird der Magen aus den Segmenten Th5 bis Th9 innerviert. Mittels einer BGM in den linken Dermatomen Th5 bis Th9 kann der Magen direkt therapeutisch erreicht werden.

Über die allgemeine Wirkung der BGM kann eine generelle vegetative Umstimmung des Autonomen Nervensystems erreicht und somit eine Harmonisierung bewirkt werden.

Egal welche Symptome oder Erkrankungen der Vegetativen Dystonie vorliegen, die BGM beginnt gemäß Lehrbuch immer mit dem sogenannten Grundaufbau. Auch sollte immer, egal welche Beschwerden vorliegen, die erste Aufbaufolge durchgeführt werden. Zur vegetativen Umstimmung sollte im Laufe der Behandlungsserie die zweite und dritte Aufbaufolge hinzukommen. Die meisten Beschwerden und Erkrankungen der Vegetativen Dystonie bedürfen einer vegetativen Umstimmung. Je nach Beschwerden, zum Beispiel Herzrasen, bedarf es auch noch spezieller Bindegewebsstriche in den Dermatomen der Herzzonen und den sogenannten Maximalpunkten.

Eine vegetative Umstimmung kann schon mit 10-16 Behandlungen, bei zwei Behandlungseinheiten pro Woche, erreicht werden.

Zur weiteren BGM-Therapie der verschiedenen Erkrankungen verweise ich auf die einschlägige Fachliteratur.

Es lohnt sich, sich mit der BGM neu auseinanderzusetzen, ihre anatomischen und physiologischen Grundlagen wieder zu erlernen und diese neu in das Behandlungsrepertoire aufzunehmen. Sie ist ein gutes therapeutisches Instrument gerade auch für internistische und gynäkologische Erkrankungen und dem Symptomenkomplex der Vegetativen Dystonie. Sie ist leider im Zuge der ständigen Neuerungen auf dem alternativen Gesundheitsmarkt in den Hintergrund geraten. Meiner Meinung nach zu Unrecht.

Eine weitere Maßnahme, die bei einer Sympathikotonie nie fehlen darf, ist eine regelmäßige Ausdauerbelastung wie walken, joggen, schwimmen oder Fahrrad fahren, die den körperlichen Umständen der Betroffenen angepasst sein sollte. Über Ausdauerbelastungen kann die sympathikotone Reaktionslage reduziert und in Richtung Vagotonie verschoben werden. Die Stressreaktion, bei der sich der Körper auf Flucht oder Angriff vorbereitet hat, kann dadurch körperlich abgebaut werden. Sympathikotone Symptome und Erkrankungen verbessern sich dadurch. Regelmäßige Ausdauerbelastungen bewirken unter anderem eine Senkung des Blutdrucks, der Herzfrequenz und des Muskeltonus, was zu einer Reduzierung von Nackenverspannungen und Spannungskopfschmerzen führt. Auch Reizbarkeit, innere Unruhe, Schlafstörungen und sogar Verdauungsbeschwerden können dadurch verbessert werden, weil die Sympathikusaktivität aufgrund der Ausdauerbelastungen gehemmt wird.

 

Viele Symptome und Erkrankungen, die der Vegetativen Dystonie bzw. der Psychovegetativen Störung zugerechnet werden können, haben auch einen seelischen Hintergrund. Schwelende seelische oder soziale Konflikte können dazu führen, dass sich manche Menschen zu sehr von Familie oder Arbeit vereinnahmen lassen und dadurch unter Stress geraten. Insgesamt steigt auch in unserer Gesellschaft die Beanspruchung durch Familie, Arbeit und ständiger Reizüberflutung, die zu einer Aktivierung der Stressreaktion führen. Von Einzelnen wir immer mehr gefordert, was wiederum zu seelischen Belastungen führen kann.

Hilfreich kann sich hier ein Coaching oder eine Psychotherapie erweisen, bei der schwelende seelische Konflikte aufgedeckt und die individuellen Ursachen für Stress analysiert werden können. Schwelende seelische Konflikte können ihre Ursachen in zum Teil unterbewussten Ängsten haben.

Sind mithilfe des Coachings oder der Psychotherapie alle seelischen und sozialen Belastungen analysiert und die einzelnen Stressoren identifiziert worden, kann der Coach oder der Psychotherapeut gemeinsam mit dem Patienten ein individuelles Lösungsprogramm erarbeiten.

Bei der Behandlung von psychovegetativen Störungen haben sich auch pflanzliche Heilmittel sehr bewährt. Besonders sind das Johanniskraut und die Passionsblume zu erwähnen. Die in diesen Heilpflanzen enthaltenen pharmakologisch wirksamen Inhaltsstoffe wie Hypericine und Flavonoide wirken angstlösend, beruhigend, stimmungsaufhellend und ausgleichend, aber nicht ermüdend. Dennoch lassen sie sich auch bei Schlafstörungen, aufgrund der beruhigenden und ausgleichenden Wirkung gut einsetzen.

Bei der Vegetativen Dystonie verordne ich meistens ein Medikament mit Inhaltsstoffen des Johanniskrauts und ein Passionsblumenmedikament, die aber beide zusammen eingenommen werden sollen. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Einnahme beider pflanzlicher Mittel synergistische und additive Wirkungen haben und sich gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken. Mit diesen beiden pflanzlichen Medikamenten lassen sich durchweg gute Behandlungsergebnisse erzielen. Johanniskraut kann jedoch zu einer Überempfindlichkeit gegen Sonnenlicht führen.

Zusätzlich zur Nachtruhe kann abends ein Baldrianmedikament eingenommen werden. Die Wirkstoffe des Baldrians wie Bornylacetat und Bornylisovalerianat wirken beruhigend. Weitere Wirkstoffe des Baldrians sind Valeranon, Caryophyllen und Camphen. Baldrian wird auch in Kombipräparaten zusammen mit dem beruhigend wirkenden Hopfen oder der ebenfalls beruhigend wirkenden Melisse angeboten.

Maßnahmen der Orthomolekularen Therapie können die Therapie der Psychovegetativen Störung ergänzen. Besonders erwähnt seien hier die Vitamine des B-Komplexes, die eine Rolle bei psychischen Störungen spielen können. Bei länger anhaltendem Stress besteht ein erhöhter Verbrauch dieser B-Vitamine. Ein Mangel an Vitamin B1, B2 oder B3 kann depressive Verstimmungen und Angstzustände verstärken. Ein Vitamin-B6-Mangel kann nervöse Unruhe und Schlafstörungen fördern. Mangelndes Vitamin B12 kann mitverantwortlich für innere Unruhe sein. Auch ein Mangel an Folsäure kann depressive Verstimmungen begünstigen. Eine Substitution dieser genannten Vitamine ist daher sinnvoll.

 

Die Vegetative Dystonie bzw. die Psychovegetative Störung ist meist eine tiefer greifende Störung, die oft durch länger anhaltenden Stress verursacht wurde. Neben der BGM, Ausdauersportarten, Phytotherapie und der Orthomolekularen Therapie, die zusammen gute Behandlungsergebnisse bewirken, ist meiner Meinung nach immer eine umfassende persönliche Beratung bzw. Coaching oder Psychotherapie angezeigt, um die zum Teil in der Seele tief gegründeten Ursachen oder andere auslösende Stressoren zu erkennen und lösungsorientiert zu beheben.

Patric Warten, Heilpraktiker und Osteopath