Wundermittel Bewegung

Ein Fachartikel von Heilpraktiker Patric Warten, der in der Zeitschrift „Reflexe“, des Verbandes der Masseure der Schweiz, im März 2015 veröffentlicht wurde

Einleitung

Der menschliche Körper ist für Bewegung geschaffen und auf Bewegung ausgelegt. Bis vor rund 40 oder 50 Jahren haben sich die Menschen erheblich mehr bewegt als dies in unserem heutigen modernen Leben der Fall ist. Wir sind zwar eine mobile Gesellschaft geworden, doch bewegen wir uns selbst viel zu wenig. Das Auto und andere moderne Fortbewegungsmittel nehmen uns die körperliche Aktivität bei der Fortbewegung ab. Unsere Arbeit und unser ganzer Alltag reduziert sich immer mehr auf das Sitzen und auf wenige monotone Bewegungsabläufe, weil wir mehr und mehr Maschinen für uns arbeiten lassen. Die Fülle und Bandbreite von Bewegung, auf die unser Körper angelegt ist, wird immer weniger in Anspruch genommen. Das kann auf Dauer zu Schäden und zu Zivilisationskrankheiten führen.

Doch haben gerade körperliche Aktivitäten, wenn sie regelmäßig ausgeführt werden, sehr viele vorbeugende Wirkungen für die Gesundheit bzw. viele günstige therapeutische Wirkungen, wenn sich Krankheit eingestellt hat.

Jemand hat einmal behauptet, wenn es ein Medikament gäbe, das so viele vorbeugende und therapeutische Wirkungen hätte, wie das bei regelmäßig ausgeführter Bewegung der Fall ist, wären daran viele Milliarden zu verdienen.

In diesem Artikel soll es darum gehen, welche vorbeugenden und therapeutischen Wirkungen regelmäßige körperliche Aktivität in Form von Ausdauersport auf Körper und Psyche haben.

 

Erfolgen regelmässige körperliche Aktivitäten, gerade auch als Ausdauerbelastungen, so hat dies auf alle an der körperlichen Aktivität beteiligten Organe und Strukturen positive Auswirkungen, vorausgesetz, dass die einwirkenden Bewegunsreize nicht zu schwach bzw. nicht zu stark sind. Die Organe und Strukturen passen sich den regelmäßig einwirkenden Bewegungsreizen an, bauen sich dadurch auf und werden belastbarer. Umgekehrt heisst dies auch, dass zu wenige oder zu schwache Bewegungsreize ohne körperliche Anpassungsvorgänge bleiben und die jeweiligen Strukturen eher abbauen, weil unser Organismus auf Ökonomie ausgelegt ist. Der Erhalt solcher zu wenig gebrauchter Strukturen würde den Körper zu viel Energie kosten.

Je besser die jeweiligen Organe und Strukturen trainiert sind, desto robuster sind sie und dadurch weniger anfällig für Störungen oder Krankheiten. Umgekehrt gilt: Je schlechter sie trainiert sind, desto anfälliger sind sie für Störungen und Krankheiten. Das will ich am Beispiel einer Bandscheibe verdeutlichen. Der Bandscheibenknorpel baut sich durch regelmäßig einwirkende Bewegungsreize auf und wird dadurch stabiler und belastbarer. Erfolgen wenig Bewegungsreize auf die Bandscheibe, zum Beispiel durch langes Sitzen oder Stehen, dann fehlt dieser für die Bandscheibe aufbauende Reiz und sie kann sich dadurch nicht so stark ausbilden und wird anfälliger für degenerative Veränderungen oder einen Bandscheibenvorfall. Wirken öfters zu starke Bewegungs- oder Belastungsreize auf Organe oder körperliche Strukturen ein, dann kann dies zu Schaden führen. Am Beispiel der Bandscheibe können dadurch vorzeitige Degenerationen oder ein Bandscheibenvorfall entstehen.   

So gilt, dass es auch in der Bewegung ein Zuviel und ein Zuwenig gibt. Beides bewirkt Schaden.

 

Besonders gut für die Gesundheit eignen sich Ausdauerbelastungen in Form von Walking, Jogging, Schwimmen, Skilanglauf, Ergometertraining, Fahrradfahren und Rudern. Ausdauersport sollte den körperlichen Umständen angepasst sein. Eventuell sollte vor Aufnahme eines regelmäßigen körperlichen Trainings ein Arzt konsultiert werden. Dies gilt besonders für Personen mit Herz- Kreislauferkrankungen.

Regelmäßige körperliche Aktivität und ihre positiven Auswirkungen auf verschiedene Organe und Strukturen

 

1. Auswirkungen auf Muskeln, Bänder, Gelenke und Bandscheiben

Die Muskelkraft und die Ermüdungswiderstandsfähigkeit (Ausdauer) der Muskeln nehmen zu. Dies führt zu einer Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Muskelverspannungen lösen sich, so dass z.B. Verspannungsgefühle im Schulter- Nackenbereich und Spannungskopfschmerzen günstig beeinflusst werden können.

In den Gelenken findet eine vermehrte Produktion der Gelenkschmiere (Synovia) statt. Dadurch wird der Gelenkknorpel besser ernährt, geschmiert und seine Oberfläche wird glatter. Zudem wird der Gelenkknorpel dicker und stabiler und ist somit gegen Verschleiß weniger anfällig. Stoffwechsel und regenerative Prozesse werden gesteigert. Die Beweglichkeit wird erhalten, bzw. bei Arthrose gefördert. Es kommt zu einer Kräftigung der Bänder, diese können dann das Gelenk besser führen und stabilisieren, einwirkende Kräfte werden besser verteilt (Gelenkschonung).

Es gibt für mich keine bessere Maßnahme zur Vorbeugung der Arthrose als Bewegung. Doch gilt auch hier Vorsicht. Öfters zu stark einwirkende Belastungen auf die Gelenke (z.B. Squash belastet die Knie sehr stark) bewirken Schaden. Auch gibt es für mich bei Arthrose keine bessere Therapie als Bewegung, insbesondere auch Bewegungen, die das betroffene Gelenk wenig belasten (z.B. Fahrradfahren bei Hüftgelenksarthrose). Kein Medikament und keine andere Therapie können meiner Meinung nach am Arthrosegelenk so viel Positives bewirken, wie es die Bewegung kann.

Walken oder Joggen stellt ein gutes Training für die Bandscheiben dar. Die dadurch intermittierend einwirkenden Kräfte stellen aufbauende und stabilisierende Reize für das Bandscheibengewebe dar. Der Bandscheibenknorpel verdickt sich dadurch und wird stabiler. Auch werden durch Walken und Joggen tatsächlich auch die Rückenmuskeln gekräftigt und die Haltung verbessert. Bandscheibenbeschwerden werden dadurch vorgebeugt. Gerade auch in der Therapie ist ein individuell angepasstes Bewegungsprogramm das Mittel der Wahl bei Bandscheibenschäden.

 

2. Auswirkungen auf das Herz- Kreislaufsystem

Das Herz arbeitet ökonomischer und schlägt unter Belastung und in Ruhe langsamer und kann mit jedem Herzschlag mehr Blut in das Gefäßsystem pumpen. Der Sauerstoffverbrauch des Herzmuskels senkt sich. Die Herzkranzgefäße werden besser durchblutet, die Herzleistung steigert sich.

Der Blutdruck senkt sich nachhaltig. Die Blutgefäße reagieren bei einwirkenden Stressreizen nicht so schnell mit einer Verengung.

Die Gerinnungs- und Verklumpungsneigung der Blutplättchen reduziert sich. Der Bildung von Blutgerinseln (Thromben), die ein arteriosklerotisch verändertes Gefäß verschließen könnten, wird dadurch entgegengewirkt.

Das Herz wird leistungsfähiger. Die allgemeine Leistungskraft steigt dadurch.

 

 3. Auswirkungen auf Körpergewicht, Blutfette und Zuckerstoffwechsel

Regelmäßige Ausdauerbelastungen sind mit Abstand der beste „Fatburner“ den es gibt. Aber nicht nur während der körperlichen Aktivität wird Energie verbrannt, auch der Ruhegrundumsatz steigert sich, das heißt, dass auch in Ruhe mehr Energie verbrannt wird. Beides führt zu einer Reduzierung eines erhöhten Körpergewichts. Außerdem wird durch regelmäßiges Ausdauertraining dem Jojo-Effekt beim Abnehmen entgegengewirkt.

Das Gefäß schützende HDL-Cholesterin (sogenanntes „gutes Cholesterin“) erhöht sich. Das LDL-Cholesterin (sogenanntes „schlechtes Cholesterin“) wird gesenkt. Der Arteriosklerose und somit Herz-Kreislauferkrankungen kann damit vorgebeugt werden.

Erhöhte Triglyzeridwerte (sogenannte Neutralfette), die gleichfalls als Risokofaktoren für Arteriosklerose und Herz-Kreislauferkrankungen zu sehen sind, lassen sich dadurch auch senken. In der Therapie von erhöhten Blutfettwerten ist, neben der Ernährungsumstellung, eine regelmäßige Ausdauerbelastung meiner Meinung nach sehr wichtig.

Regelmäßige Ausdauerbelastungen können auch in erheblichem Maße dem Typ-2-Diabetes vorbeugen, dem ein jahrelanger gestörter Zuckerstoffwechsel voraus geht. Ein gestörter Zuckerstoffwechsel, der sich in einem zu hohen Glucosespiegel im Blut, einer sogenannten Insulinresistenz der Zellen und einem zu hohen Insulinspiegel (Hyperinsulinismus) äußert, kann entgegengewirkt werden. Die Muskelzellen verbrennen bei Aktivität Energie, die aus Glukose gewonnen wird. Das führt auf Dauer dazu, dass erhöhte Glukosewerte im Blut reduziert, die Insulinresistenz der Zellen vermindert und dem Hyperinsulinismus entgegengewirkt werden kann. Bei einem bereits bestehenden Typ-2-Diabetes können regelmäßige Ausdauerbelastungen auch zu einer Verbesserung des Zuckerstoffwechsels führen, was zu einer Reduzierung der Diabetesmedikamente führen kann. Besteht ein Typ-2-Diabetes im Anfangsstadium, kann eine konsequente Ernährungsumstellung, in Verbindung mit einer Reduzierung des Körpergewichts und regelmäßigem Ausdauertraining den Diabetes für einige Jahre zum völligen Verschwinden bringen.

 

 4. Auswirkungen auf chronische Schmerzen

Viele Studien belegen, dass regelmäßige Ausdauerbelastungen bei chronischen Schmerzen hilfreich sind und zu einer nachhaltigen Reduktion der Schmerzen führen.

Unter anderem wird das auf eine vermehrte Ausschüttung von Endorphinen zurückgeführt.

Auch werden schmerzende Muskelverspannungen durch Bewegung gelöst. Der Stoffwechsel wird gesteigert, was zu einem vermehrten Abtransport von Stoffwechselendprodukten („Schlacken“) und Schmerzmediatoren (z.B. Prostaglandine) aus dem schmerzenden Gewebe führt.

Bewegung führt auch zu einer Stimulation von Mechanorezeptoren im Körper. Die Nervenimpulse der Mechanorezeptoren verlaufen zum Rückenmark und hemmen dann dort auch eingehende Schmerzsignale (Theorie des „Gate-control-Mechanismus“). Es werden dadurch weniger Schmerzinformationen zum Gehirn weitergeleitet. Somit kommt es zur Schmerzhemmung.

All die genannten Faktoren führen auch zu einer Desensibilisierung gegenüber Schmerzen. Dadurch kann das sogenannte Schmerzgedächtnis, das gerade für die Chronifizierung des Schmerzes verantwortlich ist, positiv beeinflusst werden.

 

 5. Auswirkungen auf die Psyche

Das Ausschütten von Endorphinen wirkt stimmungsaufhellend und sorgt für ein seelisches Gleichgewicht. Als begleitende Therapiemaßnahme sollte regelmäßige Bewegung bei Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht fehlen. Studien belegen die positive Wirkung.

 

 6. Auswirkungen auf Stress

Ausdauerbelastungen wirken ausgleichend auf Stress und den damit verbundenen Stressreaktionen. Unter einer Stressreaktion versteht man eine schnelle Anpassungsmöglichkeit des Körpers auf eine auftretende Gefahren- oder Stresssituation. Unter Einwirkung des Sympathikus bereitet sich der Körper auf eine schnelle Reaktion (Flucht oder Angriff) vor. Puls und Blutdruck steigen, die Atemfrequenz steigt, die Muskeln werden besser durchblutet, der Tonus der Skelettmuskeln steigt, Energie (ATP) für die Muskelaktivität wird bereitgestellt und anderes mehr.

Was unseren Vorfahren bei einwirkenden Stress- oder Gefahrensituationen und der damit verbunden Stressreaktion das Überleben sicherte, wird dem modernen Menschen zum Verhängnis. In unserer immer hektischer und lauter werdenden Gesellschaft steigt der Stress. Die damit verbundene Stressreaktion kann jedoch bei den meisten Menschen nicht mehr genügend abgebaut werden. Eine körperliche Reaktion (Flucht oder Angriff) bleibt aus. Wir bleiben gestresst am Arbeitsplatz sitzen.

Durch Ausdauersport kann man dem Stress „davonlaufen“.

 

7. Weitere Auswirkungen

Die Haut, gerade auch im Gesicht, wird besser durchblutet. Sie strafft sich dadurch, das Aussehen verbessert sich. Die Gesichtsfarbe wird rosiger.

Der Stoffwechsel vieler Körperzellen verbessert sich, auch werden die Zellen mit mehr Sauerstoff versorgt. Das Gehirn erhält mehr Sauerstoff und wird dadurch leistungsfähiger.

Bei Asthmatikern wird eine Reduktion von Asthmaanfällen bewirkt. Vermehrt wird Schleim aus den Bronchien herausbefördert, was z. B. bei chronischer Bronchitis sehr hilfreich ist.

Das Immunsystem wird gestärkt, vielen Infektionserkrankungen wird dadurch vorgebeugt.

Studien belegen, dass Ausdauertraining Krebs vorbeugt.

Die Regenerationskraft des Organismus wird gestärkt. Verletzungen heilen dadurch schneller aus. Auch können sich Krankheitsverläufe und die Rekonvaleszenz dadurch verkürzen.

 

Genauso wie ein Medikament erst wirken kann, wenn es regelmäßig eingenommen wird, so ist es auch mit den Ausdauerbelastungen. Die positiven Auswirkungen kommen erst nach einiger Zeit zur Entfaltung. Man sollte das „Medikament Ausdauerbelastung“ am Besten dauerhaft einnehmen. Meiner Meinung nach hat kein Medikament annähernd so viele gute prophylaktische und therapeutische Wirkungen wie dieses. Wird es richtig, gezielt und den körperlichen Umständen angepasst angewandt, dann ist es frei von unerwünschten Nebenwirkungen.

Als begleitende und unterstützende Maßnahme zu anderen Therapieverfahren können Ausdauerbelastungen bei vielen Erkrankungen zum Einsatz kommen.