Manuelle Lymphdrainage in der Therapie eiweißreicher Ödeme

Ein Fachartikel von Heilpraktiker, Physiotherapeut und Osteopath Patric Warten, der in der Zeitschrift „Reflexe“, des Verbandes der Masseure der Schweiz, im April 2022 veröffentlicht wurde

 

 Die Manuelle Lymphdrainage gilt als die geeignetste und anerkannteste Therapie in der Behandlung eiweißreicher Ödeme, den Lymphödemen. Im deutschsprachigen Raum wird sie seit den 1960er Jahren von Masseuren und Physiotherapeuten erfolgreich eingesetzt. In den USA wird sie selten angewandt.

In diesem Artikel wird beschrieben warum die Manuelle Lymphdrainage in der Therapie von Lymphödemen alternativlos ist. Dazu wird zunächst auf die Entstehung und Beschreibung von eiweißarmen und eiweißreichen Ödemen eingegangen.

Das Ödem

Bei der Durchblutung des Gewebes verlässt Wasser und Eiweiß im arteriellen Schenkel der Blutkapillaren die Blutbahn (Filtration). Die Folge ist eine Wasseransammlung im extravasalen Zellzwischenraum. Im venösen Anteil der Kapillaren geht bei normalen Durchblutungsbedingungen rund 90% des aus dem arteriellen Anteil der Kapillaren ausgetretenen Wassers wieder zurück in die Kapillaren (Resorption). Das ausgetretene Eiweiß kann allerdings nicht wieder in die Kapillaren zurück, weil die Gefäßwände der Kapillaren für Eiweiß semipermeabel (halbdurchlässig) sind. Deshalb muss das Eiweiß und die restlichen 10% des Wassers, welches in den Zwischenzellraum ausgetreten ist, über das Lymphgefäßsystem abtransportiert werden. Der Abtransport von Eiweiß und Wasser mit den darin gelösten Stoffwechselendprodukten aus dem Gewebe ist die Hauptaufgabe des Lymphgefäßsystems.

Entsteht ein Missverhältnis aus Filtration einerseits und Resorption sowie Lymphabfluss andererseits zugunsten von Filtration, ist eine vermehrte Ansammlung von Flüssigkeit im Gewebe die Folge. Es entsteht ein Ödem.

Eiweißreiche Ödeme

Wie bereits erwähnt kann Eiweiß, welches die Blutbahn verlassen hat, nicht wieder in die Blutbahn eintreten um aus dem Gewebe entfernt zu werden. Es muss über das Lymphgefäßsystem abtransportiert werden. Es gibt sonst keine andere Möglichkeit. Bleibt Eiweiß jedoch zu lange im Gewebe führt das auf Dauer zu Schäden.

Ödeme können in eiweißarme und eiweißreiche Ödeme eingeteilt werden. Das klassische Einsatzgebiet der Manuellen Lymphdrainage sind die eiweißreichen Ödeme, bei denen es zu einer vermehrten Ansammlung von Eiweiß im Gewebe kommt.

Eiweißreiche Ödeme können durch Entzündungen entstehen. Entzündungen führen zu einer vermehrten Durchlässigkeit (Permeabilität) der Kapillaren für Eiweiß. Es tritt also bei einer Entzündung vermehrt Eiweiß und auch Wasser aus der Kapillare aus, welches nur über das Lymphsystem wieder aus dem Gewebe abtransportiert werden kann. Gleichzeitig schädigen Entzündungen die Lymphgefäße in den betroffenen Regionen, sodass diese ihrer Funktion nicht mehr richtig nachkommen können. Auch Traumatisierungen des Gewebes durch Unfälle oder Operationen führen zu eiweißreichen Ödemen. Bei einer Gewebstraumatisierung werden in den betroffenen Gewebsbereichen die örtlichen Lymphgefäße geschädigt, sodass sie das traumatisierte Gewebe nicht mehr vollständig entstauen können. Gleichzeitig werden in den geschädigten Geweben die Kapillaren durchlässiger für Eiweiß.

Eiweißreiche Ödeme entstehen aber auch durch Schäden an den Lymphgefäßen selbst, Beispielsweise nach einer Brustamputation (Mastektomie), bei der die Lymphknoten der ableitenden Lymphgefäße des Armes entfernt wurden. Es kommt zu einer sogenannten mechanischen Insuffizienz des betroffenen Lymphgefäßsystems, welches zu einer Schwellung des betroffenen Armes führt.

Eine mechanische Insuffizienz kann aber auch durch Tumore oder Bestrahlungen im Bereich von Lymphgefäßen oder bedingt durch eine Entwicklungsstörung bzw. Minderanlage von Lymphgefäßen entstehen.

Eiweißarme Ödeme entstehen zumeist aufgrund eines zu hohen Drucks in den Venen, bedingt durch einen venösen Rückstau, wie das zum Beispiel bei einer chronisch venösen Insuffizienz oder bei einer Herzinsuffizienz der Fall ist. Der venöse Rückstau führt dazu, dass auch in den vorgeschalteten Kapillaren der Druck steigt und es dadurch zu einem vermehrten Austritt von Flüssigkeit aus den Kapillaren kommt. Der Eiweißgehalt dieser Ödeme ist geringer als der von eiweißreichen Ödemen, bei denen eine mechanische Insuffizienz des Lymphgefäßsystems vorliegt.

Sicherheitsventilfunktion

Gelangt zu viel Flüssigkeit ins Gewebe reagiert das Lymphgefäßsystem mit einer sogenannten Sicherheitsventilfunktion, bei der es zu einer Steigerung der Lymphangiomotorik kommt. Dadurch können Lymphgefäße in den betroffenen Regionen ihre Kapazität steigern und vermehrt Flüssigkeit mit dem darin gelösten Eiweiß aus dem gestauten Gewebe abtransportieren. Erst wenn bei voller Kapazität der Lymphgefäße die Flüssigkeitsansammlung nicht mehr hinreichend entfernt werden kann entsteht ein Ödem.

Manuelle Lymphdrainage ist alternativlos in der Therapie eiweißreicher Ödeme

Eiweißreiche Ödeme entstehen wie beschrieben aufgrund einer mechanischen Insuffizienz des Lymphgefäßsystems. Es ist also aufgrund einer pathologischen Veränderung in seiner Funktion gestört und kann deshalb Flüssigkeit und Eiweiß aus dem gestauten Gewebe nicht vollständig abtransportieren. Ödeme, die aufgrund einer mechanischen Insuffizienz entstehen werden als Lymphödeme bezeichnet. Lymphödeme kommen vorwiegend an den Extremitäten vor.

Durch die Manuelle Lymphdrainage wird die Lymphangiomotorik gesteigert und lymphatische Umgehungskreisläufe aktiviert. Durch die Behandlung entfernt liegender Lymphknoten und der sogenannten Bauchtiefdrainage kann eine Sogwirkung auf Lymphgefäße erzeugt werden, was zu einem verbesserten Lymphabfluss führt. Die Manuelle Lymphdrainage ist Bestandteil der Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie (KPE), zu der auch die Kompressionstherapie, das Hochlagern und entstauende Bewegungsübungen zählen.

Bleibt Eiweiß, welches über das insuffiziente Lymphsystem nicht abtransportiert werden kann, im Gewebe liegen, kann das zu Gewebsschädigungen führen. Eiweiß kann sich im Gewebe umbauen, sich an das Gewebe anhaften und zu Gewebsvermehrung und Verhärtungen führen.

Eiweiß kann nur über das Lymphsystem aus dem Gewebe entfernt werden. Die MLD ist deshalb in der Therapie unverzichtbar.

Vorsichtiger Umgang mit Diuretika bei Lymphödemen

Bei Lymphödemen ist ein vorsichtiger und zurückhaltender Umgang mit Diuretika angezeigt. Diuretika bewirken zwar eine Abschwellung des Ödems indem vermehrt Wasser aus dem Gewebe in die Kapillaren zurückströmt, es bewirkt aber nicht, dass Eiweiß aus dem Gewebe entfernt wird.

Eiweiß braucht Wasser, an das es gebunden ist, um über das Lymphgefäßsystem aus dem Gewebe abtransportiert zu werden. Wird dem Lymphödem zu viel Wasser entzogen, verliert das Eiweiß dadurch seine Fließeigenschaft. Es kann nur noch erschwert oder gar nicht mehr über die Lymphgefäße abfließen. In den Lymphgefäßen selbst kann es durch den Wassermangel zu einer sogenannten Lymphostase kommen. In dem Fall kann die Lymphe aufgrund von Wassermangel nicht mehr richtig fließen. Es bilden sich Stauungen in den Lymphgefäßen. Das liegengebliebene Eiweiß verhärtet sich und haftet sich an den Wänden der Lymphgefäße an. Die Funktion der betroffenen Lymphgefäße wird dadurch ganz oder teilweise eingeschränkt, was auf Dauer zu einer Verschlechterung des Lymphödems führt.

Eiweiß hat einen sogenannten onkotischen Sog, das heißt, dass es Wasser bindet. Wird dem Lymphödem und damit auch dem Eiweiß Wasser entzogen, steigt damit der onkotische Sog im Gewebe. Das Eiweiß im Gewebe, dem das Wasser entzogen worden ist, will wieder Wasser binden. Der onkotische Sog im Gewebe hat zur Folge, dass vermehrt Wasser aus der Blutkapillare gezogen wird und somit das Ödem bei Absetzen der Diuretika wieder an Volumen zunimmt.

Lymphödeme, die intensiv mit Diuretika behandelt werden, sind in der Regel bei Palpation von der Konsistenz her fester. Eigentlich sind Lymphödeme von weicher Konsistenz.

Komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE)

In der Therapie von Lymphödemen kommt neben der Manuellen Lymphdrainage auch die Kompression in Form von Kompressionsbandagen oder Kompressionsstrümpfen zur Anwendung. Sie ist neben der MLD unverzichtbar in der Therapie von Lymphödemen.

Mit Hilfe von Kompressionsbandagen oder Kompressionsstrümpfen wird der Gewebedruck erhöht, was zu einer verringerten Filtration und zu einer erhöhten Resorption führt. Bewegungsübungen mit angelegter Kompression bewirken, dass die Muskelkontraktionen einen intermittierenden Druck auf die Lymphgefäße ausüben. Dadurch wird der Lymphabfluss verbessert.

Eiweißarme Ödeme

Zur Therapie von eiweißarmen Ödemen ist die MLD nicht sinnvoll, da der Grund für das Ödem nicht eine Insuffizienz des Lymphsystems ist, sondern eine erhöhte Filtrationsrate.

In der Therapie von eiweißarmen Ödemen ist die Kompression das Mittel der Wahl, um eine erhöhte Filtrationsrate zu reduzieren und die Resorption zu erhöhen. Zu beachten ist allerdings, dass Maßnahmen der Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie eine relative oder absolute Kontraindikation bei cardialen Ödemen sind. Wird durch Maßnahmen der KPE zu viel Flüssigkeit aus dem Gewebe zurück in die Blutbahn mobilisiert, kann es dadurch zu einer cardialen Dekompensation kommen. Der behandelnde Arzt entscheidet im Einzelfall darüber ob Maßnahmen der KPE bei Ödemen zum Einsatz kommen.

Der Gebrauch von Diuretika ist bei eiweißarmen Ödemen eher sinnvoll, gerade auch zur Therapie von cardialen Ödemen sind Diuretika eine wichtige ärztliche Maßnahme.

Aus einem eiweißarmen Ödem kann ein eiweißreiches Ödem entstehen

Länger bestehende eiweißarme Ödeme, wie sie zum Beispiel bei einer chronisch venösen Insuffizienz vorkommen, können sich im Laufe von Jahren zu einem eiweißreichen Ödem verändern. Lymphgefäße nehmen Schaden wenn sie über viele Jahre unter maximaler Auslastung arbeiten müssen. Sie werden insuffizient. Die lymphpflichtige Eiweißlast kann nun immer weniger aus dem Gewebe entfernt werden. Aus dem eiweißarmen Ödem wird zunehmend ein Lymphödem. Die Manuelle Lymphdrainage kann nun zum Einsatz kommen.

Schlussbemerkungen

Die Manuelle Lymphdrainage ist neben den weiteren Maßnahmen der komplexen physikalischen Entstauungstherapie der wichtigste Therapiebaustein bei der Behandlung von Lymphödemen. In der Therapie von eiweißreichen Ödemen ist sie alternativlos.